„Erfüllte Stille“
Frater Johannes Hauck über 50 Jahre „Kloster auf Zeit“

Von Angelika Prauß (KNA Spezial 28, 10 Juli 2012)

Immer mehr Menschen fühlen sich erschöpft und sehnen sich nach einer Auszeit. Solch eine Auszeit bietet „Kloster auf Zeit“. Vor genau 50 Jahren hatte das Angebot in der Benediktinerabtei Niederaltaich seine Premiere. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet Frater Johannes Hauck darüber, was die Menschen auch heute noch bewegt, sich vorübergehend hinter Klostermauern zurückzuziehen.

KNA: Frater Johannes, wie kam es 1962 zu dem Angebot „Kloster auf Zeit“?

Frater Johannes: Die Anregung kam von einem deutschen Geschäftsreisenden. Er hatte in Asien die buddhistische Praxis kennengelernt, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft für einige Zeit in Klöstern zurückziehen, um ihr religiöses Leben zu vertiefen oder vor großen Entscheidungen - wo es guttut nachzudenken und zur Ruhe zu kommen - in sich zu gehen. Zunächst ging die Anfrage an das Münchner Ordinariat, ob so etwas nicht auch hierzulande denkbar wäre. In den 1960er Jahren lebten die Klöster und Mönchsorden nämlich noch zurückgezogener. Der Unternehmer wurde an den damaligen Abt von Niederaltaich, Emmanuel Heufelder, verwiesen. Und Abt Emmanuel konnte es sich gut vorstellen, Menschen eine Möglichkeit zu bieten, in sein Kloster einzukehren.

KNA: Hat sich über die Jahrzehnte die Motivation der Menschen für eine solche Auszeit geändert?

Frater Johannes: Eigentlich kaum. Eine wichtige Motivation ist über die Zeit gleich geblieben: dass man an gewissen Punkten im Leben - etwa im Angesicht von Krankheit, nach einer Trennung vom Partner, nach dem Tod eines lieben Menschen, in der Lebensmitte oder vor der Rente - innehält und sich fragt: Wie war bisher mein Weg, und wo möchte ich eigentlich noch hin? Solche Lebensstationen bringen die Menschen zum Nachdenken, und da nehmen sie solche Angebote gerne an.

KNA: Warum gelingt das besonders in einem Kloster?

Frater Johannes: Ganz wichtig ist für viele, sich mal aus dem Alltag auszuklinken, dem Hamsterrad zu entkommen und zu sich zu finden. Hier erleben sie Ruhe, Stille, Einkehr. Viele möchten sich bewusst mit Glaube und Kirche beschäftigen - und zwar in einer möglichst unaufdringlichen Art. Wir wollen unsere Gäste auf Zeit nicht missionieren, sondern möchten mit den Menschen unsere Tradition leben und teilen. Wir begleiten die Menschen dabei, drängen sie aber nicht in eine bestimmte Richtung. Dieses authentische Angebot zieht viele an. Sie leben dabei in den gleichen Rhythmen wie wir.

KNA: Was unterscheidet den Rhythmus der Benediktiner von dem der Welt?

Frater Johannes: Zeitmanagement ist in aller Munde. Die Benediktiner leben einen gesunden Rhythmus mit Zeiten der Arbeit, Zeiten für das Gebet und für die geistige Betätigung. Es gibt einen über die Jahrhunderte gelebten Erfahrungswert, der uns hilft, relativ produktiv zu sein, ohne das zu intendieren - einfach weil wir bestimmte Zeiten für Gott und für die Selbstsorge reservieren. Denn wer in sich geht, der wird auch Gott begegnen. Im größten Arbeitsstress halten wir inne, um zu uns und zu Gott zu kommen.
Der Alltag der vieler Menschen dagegen ist wider die natürlichen Rhythmen und kosmischen Konstellationen: Da wird der Tag zur Nacht, die Nacht zum Tag. Bei uns leben die Gäste 14 Tage selbst in diesem gesunden Rhythmus; sie stehen bei Zeiten auf und gehen wieder früh zu Bett. Und auch auf die üblichen Berieselungsmechanismen wie Fernseher und Radio verzichten sie.

KNA: Fällt es den Menschen heute nicht sehr schwer, eine Zeit lang auf Laptop, Handy und Fernsehen zu verzichten?

Frater Johannes: Die ersten zwei, drei Tage mag einigen tatsächlich die Decke auf den Kopf fallen. Aber viele kommen ganz bewusst und wissen, worauf sie sich einlassen. Sie sind richtig froh, nicht dauernd am Handy verfügbar sein zu müssen. Dafür sind die 14 Tage wichtig, es stellt sich ein Umgang mit der Stille ein. Wenn ich die Stille akzeptiere, dann empfinde ich sie nicht mehr als Leere, sondern als erfüllte Stille. Das gelingt in den eigenen vier Wänden nicht so leicht, denn dort ist die ganze Alltagsatmosphäre gespeichert. Aber wenn man in ein Kloster kommt, wo das seit 1.000 Jahren bewusst gelebt wird, strahlt die ganze Atmosphäre diese Stille aus. Dann fällt es einem leichter, nach innen zu gehen und auch in dieser Stille zu verweilen. Nach einiger Zeit erlebe ich sie als wertvoll, tragend, erfüllend und als Kraftquell.

KNA: Das 50-jährige Bestehen von „Kloster auf Zeit“ deutet auf eine Erfolgsgeschichte. War das zu Beginn absehbar?

Frater Johannes: Ich weiß nicht, ob man damit gerechnet hat. Aber man hat versucht, die Zeichen der Zeit zu deuten, vor 50 Jahren wurde ja auch das Zweite Vatikanische Konzil einberufen, es herrschte Aufbruchstimmung. Man hat den Weg, den das „Kloster auf Zeit“ gehen sollte, dem Herrn überlassen. Niemand hat wohl vermutet, dass es jetzt bei fast jeder Ordensgemeinschaft solche Angebote mit ganz eigenen Akzenten gibt.

KNA: Was raten Sie eigentlich den Menschen vor ihrer Rückkehr in den Alltag?

Frater Johannes: Die Gefahr, schnell wieder in alte Muster zu verfallen, ist groß. Deshalb thematisieren wir diese Frage auch am Ende. Die zwei Wochen bieten die Chance, dass die Teilnehmer etwas Neues einüben und neue Routinen schaffen konnten - und seien sie noch so klein. So lässt man vielleicht nun abends auf der Bettkante noch mal kurz den Tag Revue passieren und betrachtet ihn mit den Augen des Geistes und mit den Augen Gottes. Oder man steht morgens bewusster auf und legt den kommenden Tag und die anstehenden Herausforderungen vertrauensvoll in die Hände Gottes. Solche kleinen Routinen müssen aber zu dem jeweiligen Menschen passen. Sie kann ich auch zu Hause pflegen und etablieren. Kleine Schritte sind wichtig. Sein ganzes Leben nach den 14 Tagen umzukrempeln wird kaum gelingen. Aber es gibt die Möglichkeit der Wiederkehr. Wir bieten vier Termine im Jahr zur Auswahl an. Hier können die Teilnehmer ihre Erfahrungen auffrischen und neue Dinge angehen.

(KNA - 120704-SD-1651.09WU#1)


Artikel über Kloster auf Zeit aus Die beiden Türme 1/2012 (pdf)

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