Unser Erlöser hat für seine Jünger zum Vater gebetet, dass die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und sie in uns sind (vgl. Joh 17,26) und dass alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, dass auch sie in uns eins seien (Joh 17,21). Dieses Gebet wird sich in uns vollkommen erfüllen, wenn jene vollkommene Liebe Gottes, mit der er uns zuerst geliebt hat (1 Joh 4,19), auch unser Herz durchdrungen hat. Wir glauben ja, dass er nicht vergeblich gebetet hat.

Das wird geschehen, wenn all unsere Liebe, alles Sehnen, alles Streben, alles Suchen, alles Denken, wenn unser ganzes Leben und Reden und Atmen Gott sein wird und jene Einheit, die der Vater mit dem Sohn und der Sohn mit dem Vater ist, unsern Sinn und Geist durchdrungen hat. Das heißt, dass - wie Jener uns mit wahrer, reiner und unzerstörbarer Liebe liebt - so auch wir ihm in ewiger und unzertrennlicher Liebe geeint sind, so mit ihm verbunden, dass all unser Atmen, Denken und Reden Gott ist. So werden wir zu jenem genannten Ziel gelangen, welches der Herr in seinem Gebete wünscht: dass sich in uns erfüllt, dass alle eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, so dass sie vollendet sind in der Einheit und: Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch dort bei mir seien, wo ich bin (Joh 17,24).

Das muss also die Absicht des Einsamen (Beters), das seine ganze Aufmerksamkeit sein: ein Bild der künftigen Glückseligkeit in diesem Leib zu besitzen und gleichsam einen Vorgeschmack jener himmlischen Lebensform und Herrlichkeit zu verkosten. Das ist das Ziel der ganzen Vollkommenheit, den von aller fleischlichen Begierde befreiten Geist täglich zu den geistigen Wirklichkeiten zu erheben, bis all’ sein Wandel, jede Bewegung seines Herzens ein einziges und immerwährendes Gebet werde.

Hl. Johannes Kassian (um 360 - 435),  Collationes X 7; PL 49, 827f.