Die Frage nach der „Geistessammlung“ als Grundlage für eine anhaltende Erfahrung der Nähe Gottes durchzieht die Geschichte der christlichen Frömmigkeit, gewinnt aber in unserer Zeit eine geradezu bedrängende Aktualität. Viele Menschen suchen, vom Aktionismus enttäuscht, nach Sammlung und Achtsamkeit. Nicht wenige haben im christlichen Osten den mehr als eineinhalb Jahrtausende alten Erfahrungsweg des Herzensgebetes entdeckt. Die Einfachheit der Übung fasziniert: Diese besteht eigentlich nur in der möglichst ununterbrochenen Anrufung: „Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner!

1. Wer den Weg des Jesusgebetes gehen will, muss sich zuerst seiner Motive klar werden. Der Pilger der "Aufrichtigen Erzählungen" ging ihn im Gehorsam gegenüber dem Wort der Bibel: „Betet ohne Unterlass" (1 Thes 5,17). So darf auch ich letztlich das Jesusgebet nur üben aus dem Verlangen heraus, Christus zu gehorchen, um – durch die innere Umwandlung mittels dieses Gebetes – Ihm ganz zu gehören, und nicht etwa, um in erster Linie etwas für mich zu haben, mit dem geheimen Wunsch, dadurch vielleicht der Probleme des Alltags enthoben zu sein.

2. Dies setzt voraus, dass ich anfange, auf Christus zu hören und daher versuche, durch regelmäßiges Lesen des Neuen Testamentes mich mit Seinem Wort und mit Seiner Person immer mehr vertraut zu machen. Auf diese Lesung sollte ich genau so viel Zeit verwenden wie auf die Übung des Jesusgebetes.

3. Bei der Übung selbst geht es um einen sehr behutsamen Anfang, indem ich zunächst ein- oder zweimal täglich etwa 7, 10 oder 15  Minuten dafür verwende. Von diesen Zeiten wird sich dann das Jesusgebet ganz allmählich wie von selbst über den Tag hin ausbreiten. Auf keinen Fall aber sollte man es zu erzwingen suchen! Es wird bald ohnehin genügend Situationen in meinen Leben geben, in denen sich mir das Jesusgebet geradezu aufdrängt.

4. Die körperliche Haltung sei stehend oder sitzend, gesammelt, aber nicht verkrampft (Gebetshocker, Stuhl, Boden, Kirchenbank). Wichtig ist, dass ich die körperliche Haltung als Gebetshaltung bewusst und ehrfurchtsvoll einnehme, im Gedanken daran, dass Christus mir dabei innerlich näher ist als ich mir selbst. So achte ich auf meinen Atem und lasse in einem beständigen Fließen innerlich ruhig und sanft die Worte kommen: „Herr Jesus Christus (Sohn Gottes), erbarme Dich meiner“, wobei diese Worte sich bald von selbst auf das Ein- und Ausatmen verteilen.

5. Für die Übung ist das wachsende Vertrauen notwendig, aus dem heraus ich Christus um Sein Erbarmen bitte; d.h. um Seine bedingungslose Zuwendung und einigende Liebe mir gegenüber. So wird die Bitte um das Erbarmen des Herrn meinerseits zum Weg einer bedingungslosen Hingabe; denn Er allein weiß, wessen ich bedarf, um Ihm ganz zu gehören. Sein Erbarmen kann daher unter Umständen einen äußerst schmerzlichen Umwandlungsprozess mit sich bringen: „Nimm mich, wie ich bin, und mach mich so, wie Du michhaben willst.“

6. Wenn ich das Erbarmen des Herrn wirklich an mir selbst erfahren habe, kann auch ich letztlich nur Erbarmen üben, indem ich mich durch tätiges Mitgefühl als Nächster dessen erweise, der meiner bedarf, wie der barmherzige Samariter (Lk 10).

(von Altabt Emmanuel Jungclaussen OSB)

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